Die Reisetasche ausgepackt, die Maschine rotiert, der frische Sonnenbrand mit Aprés-Sun gepflegt – mitten drin im Haldern-Blues. Denn jedes Mal wird man in die kalte, graue Realität zurück geworfen, wenn man drei Tage am schönsten Ort im Sommer war: Haldern.
Während es erleichternd kühl und regnerisch am Abreisedonnerstag in der schönen Stadt im Norden losging und während der Fahrt bereits in die ersten Töne der Alben von Volcano Choir und Oscar & The Wolf reingehört wurde, verzogen sich die Wolken und versprachen aus dem diesjährigen Haldern Pop wieder ein Stück Sommerurlaub zu machen. Obwohl bereits gegen 12 Uhr so einiges los war auf dem Campingplatz, gestaltete sich die Platzsuche für 12,5 Menschen mehr als entspannt. Entspannt wollten wir es auch angehen lassen und so wurde das Festival mit Grill und Geburtstagsbier eingeläutet. Und auch der zelebrierte Weg ins Dorf hätte nicht schöner sein können.
Bei den ersten Klängen vom Isländer Asgeir wurde bereits klar, warum das Haldern Pop etwas besonderes ist. Verhuschte Musik von einem Isländer mit Wollmütze und stets geschlossenen Augen vorgetragen…das klingt banal, ist es aber nicht, wenn die Menschen um einen rum still sind, wenn man durch die geöffneten Fenster das rauschen der Straße und das raunen der davor Wartenden hört. Entspannter kann so ein Wochenende nicht starten. So entspannt, dass nur noch die letzten Töne der We Were Promised Jetpacks gehört werden konnten. Torkelnd und überglücklich strahlend fragte ein sichtlich betrunkener Fan “Wo ist der Ausgang” und rief nach meinem Rat “Du musst dir die Jetpacks anschauen, das ist das beste!”.
Entgegen der letzten Jahre, blieb ich am ersten Festivaltag, den es offiziell erst seit ein paar Jahren gibt, auf dem Gelände und ging nicht schon zu Sonnenuntergangszeit in den Schlafsack, sondern leistete den Suuns noch Gesellschaft, die eine düster-krachige Atmosphäre schufen. Diese wurde dann von John Grant in eine zerbrechliche mit energetisch schwülstig schönen Passagen mit politischen Aussagen umgewandelt und ließ mich dennoch verfrüht aber mit offenem Mund (vor Begeisterung) selig in meinen Schlafsack schlüpfen.
Der Freitag begann wie ein Festivafreitag eben beginnt: mit verwirrtem Orientierungsunsinn, der sich schnell legte durch langes Anstehen an den Duschen und dem Kaffeestand. Aber auch hier kein Stress, keine pöbelnden Menschen, eher verknautschte Gesichter mit zerzaustem Haar und Füßen die in Badeschlappen steckten. Wer Ben Caplan sich in der Pop Bar anschauen wollte, der musste früh aufbrechen, denn als ich mich mit Asgeir Trausti zu einem Interview traf, war an kein Reinkommen mehr zu denken. So kam ich aber wenigstens pünktlich ins wohligwarme Spiegelzeit zu Bears Den, die mit ihrem erdigen Folk das Publikum zum Jubeln brachte.
Leider hatte ich vor lauter Spiegelzeltschlange-Warten den Eröffnungsmoment auf der Hauptbühne verpasst, den ich so mag: die vier Jahreszeiten und dann Hein Fogger, der das Festival eröffnet. Aber die letzten Töne von Ja, Panik und die volle Hamburger Schule-Dröhnung von den Goldenen Zitronen bekam ich an einem schattig schönen Plätzchen mit. Dieser Platz links vor der Hauptbühne ist einer meiner Lieblingsplätze…Alles was das Herz begehrt bei so heißem Wetter: frischer Frucht-Smoothie, Milchkaffee, Melonenstückchen. Überhaupt war das Essensangebot wieder erstklassig. Neben Bekanntem und dem allseits beliebten Handbrot gab es wieder das Straßencafé mit Spanferkel, einen Lachs-Stand und selbstgemachte holländische Pommes.
Einer der schönsten Auftritte des Festivals bot sich gegen Abend mit Tom Odell, dem Durchstarter. Den wird man nicht mehr auf einem kleinen Festival sehen. Und irgendwie zu Recht, denn dieser Typ macht mehr als nur Klavier zu spielen. Er lebt seine Songs, er fühlt sie, er überträgt das auf seine Zuschauer und -hörer. Es waberten die Seifenblasen, Konfetti wurde gestreut, die Sonne schien durch die Wipfel und das vornehmlich junge weibliche Publikum in den ersten Reihen jauchzte glückselig. Ein weiteres Highlight präsentierten die Villagers mit einem gut gelaunten, wie schon beim diesjährigen Hamburger Konzert zappeligen Sänger. Jede Zeile mitgesummt, jede Melodie erkannt und beim angestimmten “Happy Birthday to you” mitgesungen. Im Gegensatz der sich mir nicht ganz erschließenden Sophie Hunger, berührten mich Conor & Co.
Berührt hat auch das seit Jahren allererste Konzert von James. Mit keinerlei Erwartungen vor der Bühne gestanden, eher befürchtet, dass sie ähnlich belanglos und langweilig sein könnten, wie im Vorjahr Wilco. Doch mitnichten! Bereits beim zweiten Song kletterte James-Frontmann Tim Booth ins Publikum und wurde umjubelt. Er bestach nicht nur durch seine Sympathie, sondern auch durch seine klare Stimme, seine Tanzeinlagen und sein Händchen alle Sicherheitsvorschriften mit dem Aufruf an die Fans, auf die Bühne zu kommen, über den Haufen zu werfen. Dann folgte ein nächster großer Lichtpunkt, wenn auch es im Zelt bereits muckelig düster war: Owen Pallett. Dieser verzauberte mich völlig mit seiner Geige, seiner Loopstation, seinem leicht lispelndem Ton. Ich gab mich einem Sekundenschlaf hin, aus dem ich mit pompösem Geigensound dennoch sanft wieder geweckt wurde.
Der Samstag, der kühlere Freund der anderen Tage, startete mit dem letzten Grillgut, welches sich dank Trockeneis dennoch gut gekühlt ohne Magenverrenkungen genießen ließ. Der obligatorische Gang zum nahegelegenen Reiterhof und zum See fiel diesmal auf den Samstag, war aber nicht minder schön. Irgendwie toll und nicht selbstverständlich, wie entspannt auch die Hofbesitzer zu sein scheinen, wenn sie ihre Pferde auf den Weiden laufen lassen, obwohl es von der sehr nahen Bühne jede Menge Krach gibt.
Musikalisch starteten wir recht beschwingt mit tanzenden Beinen zu Duologue, die live noch mehr an Tom Yorke erinnern, jedoch keine billige Kopie sind. Viele Erwartungen steckte ich von vornherein auch in Dan Croll, der mich aber leider mit einem eher nicht fesselnden Auftritt nicht so richtig überzeugte. So mischte ich mich lieber unter die Menschen, die es sich im Biergarten im Schattigen bequem gemacht hatten. Nach den ersten wunderbar schweren Orgeltönen von Anna von Hausswolff erinnerte ich mich daran, dass Honig uns – als quasi fast Zeltnachbarn – informiert hatte, dass er einen Zeltplatzgig spielen würde. Zusammen mit Jonas David, Towns Of Saints und Florian Ostertag spielten sie sicher einen Kettcar-Auftritt lang. Alles lauschte bedächtig, Florian schaufelte sich vorher noch eine Dose Spaghetti in den leeren Magen und der Platz um den kleinen Pavillon füllte sich immer mehr. Für Stefan Honig war es sicher ein toller Moment, als das zum größten Teil sitzende Publikum bei seinen Songs mitsang.
Ähnlich entspannt ging es bei den Local Natives auf der Hauptbühne weiter. Die Menschen tanzten, grinsten, schmissen Konfetti und ließen wieder Seifenblasen fliegen. Währenddessen machten sich ein paar verrückte Finnen in verrückten Kostüm für ihren Auftritt im Spiegelzelt bereit, der bei Rubik nicht selten mit Electrogedöns einhergeht. Ein Mann, eine Gitarre (sowie eine Armada an Effektgeräten und Loopern)… mehr brauchte Denis Jones nicht für seinen fazinierenden Elekto-Folk. Und wenn eine Gitarrensaite kaputt geht, kanns auch auf dem Klinkenstecker weitergehen. Ausserdem die schicksten Socken auf dem Haldern. Die Alabama Shakes hingegen brachten gleichzeitig den Soul auf den Reitplatz.
Doch eigentlich warteten alle nur auf einen: Glen Hansard. Und wer am “Morgen” die Augen offen gehalten hat, hat ihn bereits bei Duologue auf der Erde sitzend gesehen. Später stellte er auch noch seine Band “The Frames” vor, mit denen er unter diesem Namen und bevor er ein Oscar-Gewinner wurde, zusammen spielte. Der wohl zauberhafteste Moment des Festivals war wohl, als er eine Frau aus dem Publikum auf die Bühne holte (wirklich eine Rarität auf dem Festival) und mit ihr zusammen “Falling Slowly” sang. Mit so viel Ergriffenheit konnten Half Moon Run nur auf der Biergartenleinwand gesehen werden. Aber dennoch lieferten sie auch einen der besten Auftritte ab. Während Regina Spektor ihr gefühlt ewiglanges Set spielte, wurden die letzten Poptaler ausgegeben – diesjährig erstmalg aus Plastik und eintauschbar gegen Essen, Trinken, Pinkeln und Dusche. Den Abend und zeitgleich das Festival auf der Reitwiese schlossen die Dänen von Efterklang, die mit ihrem speziellen Postrock-Sound und sympathischen Jungs die wenigen Verbliebenen um den Finger wickelten.
Und immer dann wenn die letzte Band auf dem Reitplatz zu Ende ist, dann kommt die Wehmut, dann schaut man zurück in die angestrahlten Baumkronen, zum Sternenhimmel, atmet die Luft, sieht ein letztes Mal den großen Mond am Ausgang überm Kopf schweben und denkt sich “Bis nächstes Jahr”.
Danke Haldern, dass du so bist wie du bist. Danke dass du so bleibst wie du bist, dass du einen heimisch fühlen lässt, dich nicht verstellst. Danke, dass ich mit dir wachsen kann, an dir. Danke, dass du mich teilhaben lässt an diesem kleinen Wunder, dass ich immer wieder nach hause komme – mitten im sagenumwogenen Haldern Blues – und wieder zig musikalische Neuentdeckungen im Kopf habe. Danke, dass du auch zu den Menschen gut bist, die nicht ganz so überzeugt von dir sind. Danke, dass ich mit dir alt werden darf!
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Erstveröffentlicht auf Concert News